Wenn der Tee Wunder wirkt

WORMS – Klaus Neiß ist für viele immer noch „Jamies Papa“. Peggy Neiß ist beim Bäcker oft nur „Jamies Mama“. Jamies älterer Bruder denkt noch viel an seinen kleinen Bruder und hält das „Ja“ in “JaNi”“ am Leben. Die beiden waren auch in den dunkelsten Tagen nicht nur Brüder, sie waren beste Freunde. Und sie hatten eine gemeinsame Idee: eine eigene Tee-Manufaktur. Nico, der große Bruder, das „Ni“ in „JaNi“, ist mit seinen elf Jahren jetzt Chef des kleinen Familienunternehmens. Er hat den Eltern nach Jamies Tod Kraft gegeben. Für ihn sind sie aufgestanden. Raus aus dem Loch. Für ihn haben sie Tee bestellt, haben Tee verpackt, haben Tee verschickt.

Jamie war einen Tag vor dem OP-Termin gestorben

All das muss man wissen, wenn man die Geschichte hinter der neuen Wormser Tee-Manufaktur verstehen will. Wenn man verstehen will, wie wichtig der Familie Kräuter, Öle und Tees sind. Sie haben dem an Leukämie erkrankten Jamie geholfen: ihm die Übelkeit genommen, Geschmack gegeben, ihm Kraft geschenkt. Essen und Trinken waren eine große Herausforderung für Jamie. „Er hat ja irgendwann auch nicht mehr wirklich etwas geschmeckt“, sagt Klaus Neiß. Dann habe es täglich eine neue Teesorte gegeben. „Irgendwann meinte er: ,So viel Tee, wie ich trinke, schade, dass wir nicht unseren eigenen Tee produzieren’.“

Der Tee hat geholfen, die Naturheilkunde und die gesunde Ernährung, auf die die Eltern Neiß gesetzt haben. Auch in Zeiten, in denen die Ärzte den Kopf geschüttelt und dem Kind noch 48 Stunden zum Leben gegeben haben. Gemeinsam haben sie gekämpft. Dreieinhalb Jahre lang. Der Krebs kam, er ging, er kam wieder. Im Frühjahr 2019 hat Jamie endlich einen passenden Stammzellen-Spender gefunden. Der OP-Termin war angesetzt. Einen Tag vor der Operation war Jamie so müde: Der krebskranke Junge ist in den Armen seines Vaters eingeschlafen. Und nicht wieder aufgewacht.

Tee-Manufaktur gab Familie einen neuen Lebenssinn

„Für uns war das nach dem Tod von Jamie tatsächlich wie eine Flucht in die Tee-Manufaktur“, sagt Peggy Neiß. Im Wormser Reihenhaus, beim Spaziergang im Wald, beim Kräutersammeln im Garten – da lebt Jamie noch. Nico ist inzwischen auf einer neuen Schule. Er hat neue Freunde, neue Lehrer, neue Hobbys. Die Liebe zum Kreieren von neuen Tees ist geblieben.

us anfänglich sieben sind inzwischen 120 Tees geworden. Die Regale im Keller des Familienhauses sind befüllt mit „Nicos Schlauer Fuchs“-Tee, „Blümli Tee“ oder „Tea Rex“-Tee, mit personalisierten Verpackungen und individuellen Kräutermischungen. „Jamie war der größte Kritiker“, erklärt Peggy Neiß. „Jamie hat immer gefragt: ,Mama, was kann die Pflanze?‘“, erinnert sich die Mutter. „Ihm war es wichtig, was heilen kann.“

Brüder hatten gesamte Unternehmungsplanung selbst organisiert

„Wir möchten unser Wissen weitergeben, dass Kräuter und Öle helfen“, erklärt das Ehepaar. „Klar, das ist viel Placebo“, erklären sie – und dennoch, „wir geben den Leuten ein positives Gefühl mit.“ Und nach Jamies langjähriger Krankheit wissen sie: Das kann helfen. Die ganze Unternehmensplanung der jungen Manufaktur haben Jamie und Nico gemeinsam organisiert. Die beiden hatten ein „Buch der Wünsche“ begonnen. Das dicke Buch in feinem Ledereinband bewahrt die Familie sicher auf. „Wenn ich den Kopf habe, dann schaue ich da rein“, sagt Klaus Neiß. In diesem magischen Buch steht eine gefühlt unendliche Liste: Teekreationen, handgemalte Bilder für Etiketten, Früchte und Kräuter, die verarbeitet werden sollten, aber auch Urlaubsorte, Ausflugsziele. Auf den vollgeschriebenen Seiten steht, was die Familie alles gemeinsam erleben will. Die Ideen und Vorsätze sind geheim. Nur eines sei verraten: Die Familie wird alles machen, auch jetzt, obwohl Jamie nicht mehr da ist. Das hat sie ihm versprochen.